Genetik

Bei der Nachzucht muss einerseits die genetische Vielfalt (hier dargestellt durch verschiedene Farben von 1300 Flussperlmuschelindividuen), sowie die genetische Integrität innerhalb von Populationen (hier dargestellt durch die ähnlichen Farben innerhalb der zusammengehörigen Kohorten aus unterschiedlichen europäischen Flussperlmuschelpopulationen) erhalten werden. Die Darstellung basiert auf einer Diskriminanzanalyse von Hauptkomponenten (DAPC); ähnliche Farben kennzeichnen eine ähnliche Genetische Konstitution (nach Geist et al. 2021).

Ein zentraler Aspekt der Bestandsstützung von Muschelpopulationen durch die Auswilderung nachgezüchteter Jungmuscheln ist der Erhalt ihrer genetischen Diversität. Kleine isolierte Population sind in ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheitserregern und in ihrer Anpassungsfähigkeit an wechselnde Umweltbedingungen beeinträchtigt. Langfristig kann dieser Mechanismus zum Aussterben von Teilpopulationen führen. Die Auswahl geeigneter Nachzuchtstämme und somit die Vermeidung von Inzucht ist ein wichtiges Element für die Auswilderungs- und Erhaltungsstrategien und trägt entscheidend zum langfristigen Erhalt der Muschelbestände bei. Des Weiteren besteht eine evolutiv bedingte Wechselwirkung zwischen der Flussperlmuschel und ihrem Wirtsfisch, der Bachforelle. Diese Wechselwirkung entspricht der einer Wirt-Parasit Interaktion und spiegelt sich in vergleichbaren genetischen Populationsstrukturen der Flussperlmuschel und der Bachforelle wider.

Das Ziel der genetischen Analyse ist es, dabei zu helfen, die Nachzuchtprogramme so durchzuführen, dass die Fitness der Populationen mit ihren regionalen Anpassungen erhalten bleibt.

Durch die Betrachtung von sog. Mikrosatelliten, Bereichen der DNA, die nicht der Selektion unterliegen und somit „selektiv neutral“ sind, werden folgende Teilziele verfolgt:

  1. In den Nachzuchtprogrammen werden die genetische Integrität und Diversität und somit die Fitness der Flussperlmuscheln anhand einer individuenscharfen Auswahl erwachsener Zuchttiere sowie der kontinuierlichen genetischen Validierung der Jungmuscheln sichergestellt.
  2. Die genetische Integrität der Bachforellen-Populationen (Salmo trutta) wird überprüft, um anschließend die lokalen genetischen Linien in die Flussperlmuschel-Nachzucht einzubinden. Sprich: es sollen nur gebietseigene Bachforellen für die Flussperlmuschelzucht verwendet werden.

Entscheidend ist hierbei die Begleitung und Validierung der Nachzuchtprogramme durch genetische Analysen bei Flussperlmuscheln und Bachforellen sowie die Nachverfolgung von ausgesetzten Muscheln in den Zielgewässern. Zur Dokumentation und langfristigen Nachvollziehbarkeit der Zuchtbemühungen werden an den Nachzuchtstationen Zuchtbücher etabliert und über das Projektende hinaus geführt. Dazu werden die verwendeten Elterntiere genetisch charakterisiert, um Individuen mit hoher genetischer Diversität und/oder einzigartiger genetischer Konstitution zu identifizieren und bewusst in die Nachzuchtprogramme einzuführen. So wird verhindert, dass nur genetisch sehr ähnliche Muscheln zur Zucht verwendet werden und die Nachzucht-Populationen so mit der Zeit genetisch verarmen. Die Zuchtbücher werden im Laufe des Projekts von der TUM gemeinsam mit den Betreibenden der Nachzuchtstationen etabliert und in die praktische Nachzucht integriert. Mit der Fortführung der Zuchtbücher in den Zuchtstationen können die gewonnenen Erkenntnisse über die Eignung bestimmter Zuchttiere auch über das Projektende hinaus zur Aufrechterhaltung der genetischen Vielfalt in den Zuchtbemühungen genutzt werden.